Sonntag, 4. August 2013



Aus der aktuellen Ausgabe

Männer kriegen ihr Fett weg

Schön gespritzt:

Schweizer Männer lassen auch immer mehr nicht invasive Eingriffe wie Botox- oder Laserbehandlungen über sich ergehen

Ein Fünftel der Schönheitsoperationen in der Schweiz wird beim starken Geschlecht vorgenommen
Von Silvia Aeschbach
Olaf Heim* ist ein Bild von einem Mann: 1,90 Meter gross, durchtrainiert, mit sonnengebleichtem Haar. Er zieht sofort die Blicke auf sich, als er ins Restaurant tritt. Dass er seinem ansprechenden Äusseren etwas nachgeholfen hat, darüber will er nur anonym sprechen. «Mein Umfeld ist noch nicht so tolerant wie ich», scherzt der Marketingleiter eines grossen Schweizer Versicherungsunternehmens. Heim hat sich vor kurzem am Bauch Fett absaugen lassen. Nachdem Diät und Sport nichts gebracht hätten. «Mich haben diese kleinen Fettringe schon lange gestört.» Seinen Besuch beim Schönheitsdoc habe er nicht bereut, obwohl er nach dem Fettabsaugen «ziemliche Schmerzen» gehabt habe.
Olaf Heim ist in guter Gesellschaft: Immer mehr Männer wagen den Schritt zum Schönheitschirurgen, lassen sich Falten aufspritzen, Haare verpflanzen oder Nasen korrigieren. Von den jährlich 50 000 Schönheits-OPs in der Schweiz ist der Patient rund 9500- mal männlich. Fettabsaugen ist bei Männern der am häufigsten gewünschte Eingriff, gefolgt von der Augenlidstraffung. Ebenfalls im Trend sind Haartransplantationen. 2011 unterzog sich der englische Nationalkicker Wayne Rooney einer Haarverpflanzung. Allerdings verlief diese 20 000-Franken-OP nicht wirklich erfolgreich. Zufrieden mit seiner «haarigen» Veränderung ist Jürgen Klopp, Fussballtrainer bei Borussia Dortmund. «Ich finde, das Ergebnis ist ganz cool geworden», liess er verlauten.
Zu glauben, dass sich nur Stars oder die betuchte Oberschicht operieren lassen, ist falsch. Die Patienten kommen aus allen Bevölkerungsschichten und allen Altersklassen. «Junge Männer lassen sich vor allem Fett absaugen und die Nase korrigieren, ältere Männer wollen sich, neben dem Fettabsaugen, vor allem die Oberlider straffen lassen», sagt Gertrude M. Beer, Fachärztin für Plastische, Rekonstruktive und Ästhetische Chirurgie FMH. Nicht immer entschliessen sich die Männer ganz freiwillig zum Besuch beim Schönheitsdoc. «In letzter Zeit nehmen immer mehr Frauen ihre Männer zur Begutachtung mit», so Beer. «Viele Frauen denken, wir geben und so viel Mühe, attraktiv auszusehen, diese Mühe sollen die Männer auch auf sich nehmen.»
Die Schweiz hat den höchsten Verbrauch an Botox
Aber nicht nur im Bereich der Schönheitschirurgie holen die Männer auf. Auch nicht invasive Methoden wie Botox- oder Laserbehandlungen werden zunehmend von Männern gewünscht. So hat die Schweiz den grössten Verbrauch an Botox pro Kopf im internationalen Vergleich. Bei Smoothline, einem auf kosmetische Botulinum- und Filler-Behandlungen spezialisierten Resort, ist die Zahl der Kunden im letzten Jahr um 25 Prozent gewachsen. Jeder sechste Kunde ist ein Mann. «Es gibt zwei Hauptgruppen», sagt Dan Iselin, ärztlicher Leiter von Smoothline. «Zum einen kommen Männer aus der oberen Hälfte der sozioökonomischen Schicht, zwischen 35 bis 50 Jahren, zum anderen jüngere, homosexuelle Männer.»
Auch bei Kosmetikerinnen und Waxing-Institutengibt es immer mehr Kunden. Bei Wax Inn, einem Institut, das in Bern, Basel und Zürich Filialen hat, ist der Anteil männlicher Kundschaft gestiegen. «Der Favorit ist Haarentfernung am Rücken, gefolgt von der Haarentfernung an Brust und Bauch. Die Haarentfernung im Intimbereich, der sogenannte Brazilian Man, wird am dritthäufigsten verlangt», sagt Geschäftsführerin Sandra Käser. Der Brazilian Man, der unter «Desserts- yummy yummy» angeboten wird, kostet im Studio in Bern, «exkl. Po-Falte», 85 Franken. Die wohl angenehmste Art, sich und seinem Äusseren Gutes zu tun, ist der Gang zur Kosmetikerin. Allerdings braucht auch dieser Schritt beim Mann eine gewisse Überwindung. «Oft sind es Mütter oder Freundinnen, die einen Mann ermutigen, sich zu einer Gesichtspflege anzumelden», sagt Denise Gadient vom Kosmetikinstitut The Face in Zürich. «Eine gepflegte Haut gehört heute zum Standard der meisten Männer», so Gadient.
Diese Entwicklung sieht man auch bei der Marke Nivea Men. «Männer zwischen 25 und 49 zeigen die höchste Affinität zu Kosmetikprodukten und sind auch die entsprechend grösste Zielgruppe. Doch mit dem Älterwerden dieser pflegebewussten Zielgruppe und dem demografischen Wandel wird auch der Gesichtspflegemarkt ab 50+ zukünftig wachsen», sagt Senior Brand Manager Lukas Schulthess. «Überspitzt gesagt befindet sich der moderne Mann heute irgendwo zwischen Caveman und metrosexuellem Beckham.»
Was aber bringt die Männer dazu, sich den gleichen Schönheitsritualen zu unterwerfen wie die Frauen? «Die Bösen sind die Hässlichen», sagt Stephan Hägeli, Geschäftsführer von Acredis Spezialzentren für Ästhetische Chirurgie: «Menschen schliessen unbewusst vom Äusseren auf das Innere.» Für viele Männer sei deshalb der berufliche und soziale Aufstieg mit einer optischen Korrektur verbunden. «Bis vor fünf Jahren war für viele Männer eine Operation keine Option. Das Luxustussi-Image der Branche mit Assoziationen wie maskenartige Gesichter und überdimensionale Brüste haben das starke Geschlecht ferngehalten», so Hägeli. Im Zuge der Verfeinerung der Methoden und Techniken habe sich die Möglichkeit für natürlichere Ergebnisse gewandelt.»
Beschränkte Möglichkeiten für Penisvergrösserung
Hat in Zukunft nur noch der gut aussehende und gepflegte Mann Erfolg? Hemmt ein Bierbauch beim Ersteigen der Karriereleiter? «Männer erleben eine Entwicklung, denen Frauen schon lange ausgesetzt sind», sagt Susanne Brauer, Studienleiterin Bioethik, Medizin und Life Sciences von der Paulus-Akademie Zürich. Eine «Moralisierung» des Männerkörpers finde nun ebenfalls statt und laufe über das Thema Leistung. Es sei vor allem der «soziale Druck», der insbesondere in der Arbeitswelt aufgebaut werde: dass man trotz hoher Belastung nach wie vor jugendlich und dynamisch auszusehen habe. «Dahinter steht ein rein mechanisches Denken», so Brauer, «das Alter wird als Schaden am Körper wahrgenommen, der aber mit Hilfsmitteln zu reparieren ist.» Brauer findet diese Entwicklungen «fatal». Man solle sich gegen diese Denkweisen wehren, indem man nicht mitmache.
Ein Gebiet, das sich im wahrsten Sinne des Wortes im Wachstum befindet, ist die Genitalchirurgie. Allerdings sind die Möglichkeiten für eine Penisvergrösserung beschränkt. Die operative Verlängerung wirk rein optisch, denn die Möglichkeiten sind begrenzt: Eine echte Verlängerung des Schwellkörpers ist gar nicht möglich.
Im ästhetischen Bereich geht es um viel Geld, grosse Wünsche und teilweise zu grosse Versprechungen. Und: Eine Operation oder ein Eingriff ist immer mit einem gewissen Risiko verbunden. In der Schweiz werden laut Acredis immer mehr Schadensfälle nach Schönheitsbehandlungen gemeldet. Das hat damit zu tun, dass das Angebot immer grösser und unübersichtlicher geworden ist. Aber auch damit, dass noch immer jeder Arzt ohne besondere Ausbildung Schönheitsbehandlungen vornehmen kann.
Weder mögliche Komplikationen noch Schmerzen oder die Kosten bringen manche Männer von ihren Vorstellungen perfekter Schönheit ab: Den 26-jährigen Fitnesstrainer Rico Gonzalez* störten sein müder Blick und seine Tränensäcke. Nachdem er bereits diverse Botox- und Hyaluronunterspritzungen gehabt hatte, suchte er Hilfe bei einer Schönheitschirurgin, die ihm allerdings von einer Operation abriet. Gonzalez ging zum nächsten Beauty Doc und wurde von ihm operiert. Das Ergebnis befriedigte ihn nicht. Darum wäre er einer weiteren Operation, nicht abgeneigt. «Ich bin halt ein Perfektionist», sagt Gonzalez trotzig.
* Namen von der Redaktion geändert
Publiziert am 04.08.2013

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